SWR2 Tandem - Manuskript (PDF)

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SWR2 Tandem - Manuskriptdienst
Stirn an Stirn
Was ich in Buenos Aires beim Tango tanzen lernte
Autor:
Patrick Batarilo
Redaktion:
Petra Mallwitz
Regie:
Nicole Paulsen
Sendung:
10.10.2014 um 10.05 Uhr in SWR2
Wiederholung vom 20.07.12 um 10.05 Uhr
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MANUSKRIPT
Atmo Milonga
Erzähler:
Die „Catedral“, so heißt die erste Milonga, die ich in Buenos Aires besuche,
gemeinsam mit einer argentinischen Freundin, Cecilia. Wir treten ein - und ich bin
wie gebannt. Der hohe Saal ist ein ehemaliger Speicher, mitten in der Stadt, die
Wände sind bis zur Decke mit Gemälden behängt. Über der Bar, in vielleicht acht
Metern Höhe hängt, besser: schwebt ein riesiges von innen strahlendes zerfleddertes
Herz. Davor drehen sich die Paare, in ihren Tanz versunken, Stirn an Stirn, viele
haben die Augen geschlossen.
Ich hatte zwar in Deutschland Tangostunden genommen, fand den Tanz aber zu
ernst. Beim Tanzen wollte ich Spaß haben. Tango war nichts für mich. Das ändert
sich an diesem Abend in Buenos Aires. Cecilia wird von dem Mann am Nebentisch
zum Tanzen aufgefordert. Auf der Tanzfläche wirken die beiden auf mich so tief
verbunden, wie es mir selten in meinem eigenen Leben geglückt ist. Wie ist das
möglich - in den drei Minuten eines Tangos? Und ich sehe eine Klarheit und Stärke in
dem, was es heißen kann, sich als Frau und Mann zu begegnen, die ich in meinem
Leben vermisse. Dieses Gefühl, so scheint es mir, hat damit zu tun, wie ich als
westlicher Mann gelernt habe, mit Frauen umzugehen: respektvoll, aber auch
distanziert, sachlich, vorsichtig. Ist über den geänderten Geschlechterrollen etwas
verloren gegangen, was ich im Tango womöglich in neuer Form wiederfinden kann?
Ich nehme mir vor, das halbe Jahr, das ich in Buenos Aires verbringen werde, zum
Tangolernen zu nutzen. Und ich beschließe, mit anderen Menschen darüber zu
sprechen, wie es ihnen mit dem Tango ergeht. Eines hat mir Cecilia noch am ersten
Abend prophezeit: Tango tanzen verändert dein Leben.
Cecilia:
8, 1 Cuando volvi de Europa… La gente en Europa decía, Argentina era Maradona,
Evita y Tango. Maradona lo conocía, Evita también, pero Tango no había bailado
nunco. Entonces cuando llegue a Buenos Aires, la primera cosa que hize, fue bailar
tango, tomar una clase de tango. (…) aca mi papa estaba bastante enfermo. (…)Y
yo vine con sandalias muy solitos (¿), pero bien… la primera clase. En un lugar que
es muy conocida, que se llama la Viruta. (…) 3:50 Es joven, no es aburrido. Uno que
piensa en el tango, pienso en algo aburrido, una milonga llena de viejos, y la viruta
es otra cosa.
Erzähler:
Während der argentinischen Wirtschaftskrise, erzählt mir Cecilia, war sie nach
Europa gezogen. Wenn sie sich dort als Argentinierin vorstellte, fragten die Leute sie
nach Maradona, Evita - und Tango. Maradona und Evita kannte sie, sagt Cecilia mit
einem Lächeln, aber Tango? In den achtziger Jahren war der Tango in Argentinien
so gut wie ausgestorben, sie selbst hatte den Tanz nie gelernt. Tango, fand sie
damals, war etwas für alte Leute. Dann kehrte sie nach Argentinien zurück, weil ihr
Vater schwer erkrankt war. Und sie beschloss, es doch einmal mit dem Tango zu
versuchen. Zu ihrer ersten Klasse ging sie in Sandalen. Statt auf einen Saal voller
Großväter und Großmütter stieß sie auf eine Milonga voller junger Leute.
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Musik
Erzähler:
In ihrem Haus im Stadtteil Palermo spielt mir Cecilia Musik einer der Bands vor, die
dem Tango seit Ende der neunziger Jahre zu einer Renaissance verholfen haben.
Die Band heißt „Narcotango“, das neue Genre Elektrotango. Ein Grund für die
Renaissance des Tango, finde ich heraus, war die argentinische Wirtschaftskrise
2001. In den Jahrzehnten davor hatte sich die argentinische Gesellschaft politisch
und kulturell am Westen orientiert, vor allem an den USA. Als diese Ideale, die Ideale
des Westens, 2001 scheiterten, suchten viele Menschen nach ihren Wurzeln. Das
hieß in Argentinien - Tango.
Atmo Straße Buenos Aires
Erzähler:
Wir machen uns auf den Weg zu einer Tanzschule. Cecilia will mir den Tango näher
bringen. Um die Ecke auf der Plaza Serrano, wird jetzt im Frühsommer abends unter
freiem Himmel Tango getanzt, erzählt sie. Doch bevor ich hier oder in den Milongas
tanze, soll ich erst einmal die Grundschritte lernen.
Cecilia:
2:00 Me costo mucho ir a una milonga. (…) Es dificil estar sentada en una silla para
una mujer y esperar que el hombre venga. Uno tiene que esperar ahí que el hombre
la mire, y si la mira ahí puedes bailar y es todo una tensión, y a vezes uno no esta
dispuesto a tener esta tensión. (…) Si estas sentado en un rincón no te van a sacar
nunco. Hay que estar bastante visible.
Erzähler:
Anfangs, erzählt Cecilia, hatte sie Schwierigkeiten in den Milongas. Zum Beispiel gibt
es die Regel, dass die Frau an ihrem Platz warten muss, bis ein Mann sie auffordert,
mit Worten oder über einen Blick. Du musst warten und bist angespannt. Und wenn
du in irgendeiner Ecke versteckt sitzt, kommt nie jemand.
Cecilia:
Hoy no me siento tan bien con esta independencia. Me gusta tenerla, pero me
gustaría tener lo otro. Saber que hay límites. Que alguien me pone límites. Eso me
parece muy importante porque vivimos en una sociedad, no estoy en una isla, ahí no
imparta. (…) Yo no siempre tengo razón, y no siempre lo que digo esta bien. Yo me
crie en este ambiente, pero el tango me ayuda a entender que no, que hay otro que
tengo que respetar que dice el otro, que quiere bailar, que no me va a hacer
cualquier cosa, me va a hacer bailar, tengo que confiar que va a ser bien, Y si me
equivoco no pasa nada, que el otro entiende que puedo equivocarme de la misma
manera que yo entiendo que el otro puede equivocarse. (…) Necesito que las cosas
se den mas relajamente, necesito confiar, va a estar bien. Es un baile! (Lacht)
Erzähler:
Sie ist eine sehr unabhängige Frau, sagt Cecila, so ist sie aufgewachsen; doch heute
als Single mit Ende Dreißig fühlt sie sich in dieser Unabhängigkeit manchmal nicht
mehr wohl. Sie hat schon früh in der Firma ihres Vaters eine Führungsposition
übernommen, dort hatte sie immer das letzte Wort. Aber sie weiß auch, dass nicht
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alles was sie sagt und tut, richtig ist. Der Tango hilft ihr, das zu begreifen. Dass es da
einen anderen gibt, den sie respektieren muss. Sie empfindet es als entlastend, sagt
sie, sich der Führung eines anderen anzuvertrauen. Nicht immer über alles
nachdenken. Es ist ein Tanz, verdammt nochmal! Das ganze Leben ist ein Tanz!
Cecilia:
9, 15 Entonces el tango para mi es como un termómetro de lo que me pasa en mi
vida 10, 3:34 y me ayuda a hacer una terapia pero mas explicita. Y me terapeuta me
pregunta como va en el tango (lacht).
Erzähler:
Wenn sie Probleme im Leben hat, sagt Cecilia, merkt sie das beim Tanzen sofort, sie
ist steifer und genießt den Tanz nicht. Für sie, sagt sie lächelnd, ist der Tango auch
ein Thermometer dafür, wie es ihr in ihrem Leben geht. Sie macht eine Therapie und
ihre Therapeutin fragt als erstes immer: Wie hast du dich beim letzten Mal TangoTanzen gefühlt
Atmo Tanzkurs Tango
Erzähler:
Ich bin in dem kleinen Tanzstudio in der Calle de Florida, in das mich Cecilia
geschickt hat, im Zentrum von Buenos Aires. Ich bin der einzige Ausländer.
Atmo Tanzlehrerin:
Estaba bien, pero lo importante con una sacada es… sacar la pierna y trasladar el
peso y ocupar el peso que esta esta ocupando.
Erzähler:
Es ist meine fünfte Stunde. Die Figur ist ziemlich kompliziert, finde ich. José Ramirez
und Isabel Scheifler sind meine Tanzlehrer. José ist erst mal nett und lobt mich, dann
kommt er zum Punkt: Ich zögere zu oft, das verwirrt meine Tanzpartnerin. Um ihr zu
zeigen, was ich will, um sie zu führen, muss ich mit meinem Körper arbeiten.
Mein Fuß soll in einer schnellen Bewegung, die ich nur mit einer Verlagerung meines
Gewichts anzeigen darf, genau dahin, wo jetzt noch der Fuß meiner Tanzpartnerin
ist. Wovor hast du Angst, fragt José? Tatsächlich, warum habe ich so eine Angst,
den Fuß in ihren Raum zu setzen? Ich warte darauf, dass sie den Raum freimacht,
mich einlädt. Genau das habe ich ja mühsam gelernt, in jahrelanger
Beziehungsarbeit mit verschiedenen Partnerinnen: Es kommt nicht an bei den
Frauen, wenn man sich den Raum einfach nimmt. In den ersten Beziehungen warfen
mir meine Freundinnen vor, zu selbstverständlich davon auszugehen, dass das, was
ich will, auch das ist, was sie wollen. Die Filme, die ich für uns auswählte. Die Orte,
an die wir gemeinsam gehen sollten, Museen, Kneipen, Urlaube. „Hör auf, immer an
dich zu denken, sonst klappt das nicht mit uns.“ Also wurde ich passiver,
abwartender, versuchte zu erspüren, was sie wollen könnten. Und jetzt steht mir
genau das im Weg.
José:
Al hombre, es un baile machista, en el principio, ahora al hombre le cuesta
muchísimo poder marcar a la mujer y poder guiarla en lo que es el baile. Tomar esta
responsabilidad que él tiene que guiar a la mujer para bailar.
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Erzähler:
Tango ist ursprünglich ein Macho-Tanz, sagt José. Doch heute, hat er den Eindruck,
fällt es seinen männlichen Schülern schwer zu führen. Die Verantwortung für den
Tanz zu übernehmen.
Isabel:
46:35 Muchos varones son más tímidos que las mujeres. Les cuesta tal vez por el
carácter de la mujer, les cuesta el hecho de aprender a llevar, y de asumir que hay
otro que depende de él. (…) Les da mas de inseguridad, porque tienen que trasmitir
seguridad. Esta tranquilidad. Todas estas cosas que para una mujer se sienten, en
un abrazo tan cerrado, que sos tímido, la falta de seguridad, si están introvertidos,
extravertidos.
Erzähler:
Die Männer in ihrem Kurs wirken oft schüchterner auf sie als die Frauen, sagt Isabel.
Die Männer, ist ihr Eindruck, haben heute Schwierigkeiten mit dem Führen, weil es
bedeutet, dass ihre Partnerin von ihnen abhängt. Sie müssen Sicherheit ausstrahlen,
genau das macht sie unsicher. Im Tango hält man sich äußerst eng. Die Frau, erklärt
sie, spürt jedes Zögern.
Tatsächlich, das Führen fällt mir verteufelt schwer. Ich werde das Gefühl nicht los,
meine Tanzpartnerin zu etwas zu „zwingen“. Nach rechts oder nach links drehen sollten wir das nicht erst gemeinsam besprechen?! Vielleicht tanze ich schlecht,
denke ich einen Moment lang hoffnungsvoll, weil ich mich selbst zu einem
„sensiblen“ Mann erzogen habe - einer der nicht dominieren will. Doch die Wahrheit
ist: Ich habe gleichzeitig Angst, zu dominant und zu wenig dominant zu sein, zu
männlich und zu unmännlich. Ich will führen, bestimmen und respektieren. Dabei
habe ich doch von Cecilia gelernt, dass sie das Geführtwerden gar nicht als Zwang
wahrnimmt, dass sie gerade im Tango eine andere Seite an sich entdecken will, eine
Seite, die sie im Geschäftsleben nicht auslebt, die mit Hingabe und Vertrauen zu tun
hat. Dass es sie entlastet, in diesem nicht so wichtigen Bereich einfach zu folgen.
Vielleicht ist meine Art Respekt auch einfach Flucht, denke ich plötzlich - Flucht in die
Distanz, in die Unverbindlichkeit. Doch Flucht ist im Tango unmöglich: Der „Tango
Argentino“ ist reine Improvisation. Ohne festgelegte Schrittfolgen, hinter der ich oder
meine Tanzpartnerin ihre Unsicherheit verstecken können.
Isabel:
Son chicas tan modernas y tan independientes, tan autosuficientes en todo que a
vos te da la sensación que 45:45 parece que están bailando juntos, pero en realidad
ella esta haciendo lo que sabe. (…) En el momento que les propongas de romper
estas estructuras y que se dejen llevar por el varón ya no lo pueden hacer. Tenemos
que ayudarlas a que sepan que el baile se hace a dos. (…) Con el tango… Al
permitir el confiar en el otro, él le ayude a calmar la energía, permitir el intercambio
de energía, contaminarse de la energía del otro.
Erzähler:
Die Frauen in ihrem Kurs, sagt Isabel, sind so modern, so unabhängig, so
selbständig, dass sie sich oft nicht führen lassen können. Aber man muss dem
anderen vertrauen. Je souveräner der Mann tanzt, desto einfacher ist für die Frauen,
ihm zu folgen und zu vertrauen.
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Erzähler:
An meinem ersten Abend in einer Milonga in Buenos Aires, in der „Catedral“, habe
ich auch eine Kanadierin kennengelernt - Juliet Wang. Sie stammt aus einer
taiwanesischen Familie und ist vor zwei Jahren für den Tango nach Buenos Aires
gezogen. Ihr Alter will sie mir nicht verraten, es reiche zu sagen, dass sie vier
erwachsene Kinder und einen Ex-Mann habe. Juliet hat eine beeindruckend scharfe
Zunge, sie ist spöttisch, denkt schnell, provoziert gern
Atmo Milonga
Erzähler:
Juliets Stamm-Milonga ist ein traditionelles Lokal in einer Seitengasse in der Altstadt,
dorthin lädt sie mich ein. Der Türsteher drückt mir beim Reingehen ein Tombolaticket
in die Hand. Drinnen ist das Publikum älter, doch es sind auch ein paar junge Paare
auf der Tanzfläche. Die Frauen tauschen als erstes ihre Straßenschuhe gegen
elegante Glattledersohlen-High-Heels ein, die meisten Männer sind echte
Milongueros im Anzug, mit weißem Hemd. Szenige Turnschuhe mit Tangoabsätzen
wie in der „Catedral“ trägt hier niemand. Frauen und Männer sitzen an getrennten
Tischen. Juliet selbst scheint sich von der konservativen Atmosphäre wenig
beeindrucken zu lassen.
Juliet:
Life is futile. Life’s a bitch. For most people it’s a negative experience. Tango is about
rejection. When you go to those milongas in the beginning, nobody dances with you.
And you have to, thank god Im aggressive and charming, I don’t have to take no for
an answer. And I could laugh at my self, so Im more of a rarety than the normal polite
people. There are women that have been dancing 20 years and come here and sit all
niht. Because its not proper to ask. I say yes, but what do you have to lose? All they
can say is no. 21:30 You crazy! I say: Ya! What I learned about myself? Life is too
short, Im going dancing!
Erzähler:
Das Leben ist hart; Juliet zuckt mit den Achseln. Am Anfang tanzt in den Milongas
keiner mit dir. Sie verdreht die Augen. Manche Frauen, sagt sie, tanzen seit 20
Jahren, kommen hierher und sitzen die ganze Nacht nur rum. Weil es gegen die
Regeln verstößt, wenn die Frau den Mann auffordert. Aber, fragt sie, was hat sie
schon zu verlieren?! Das Leben ist zu kurz, sie will tanzen.
In den traditionellen Milongas fordert der Mann die Frau zum Tanzen auf, indem er
ihren Blick fängt und ihr zunickt. Juliet mag dieses kleine Ritual sehr, sagt sie - und
bricht es ständig, indem sie selbst den Männern auffordernde Blicke zuwirft, und
damit auch noch Erfolg hat. Vielleicht wegen ihrer extravaganten Art - vielleicht aber
auch wegen ihrer sichtbaren Leidenschaft für den Tango. Juliet war in Kanada
Verlegerin. Den Verlag hat sie verkauft, um in Buenos Aires leben zu können - für
den Tango.
Juliet:
It modified my personality and breaks a lot of my bad habits. Tango dance is a little
bit different than other dancers. For example the ballroom dance or the latin dance
has rules, (…) but in tango it’s improvised. Therefore the rules is not clear and cut, so
you have to concentrate. 1:25 and you have to really follow, which is a little bit
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different. (…) I m constanty wanting to control your move and anticipate what the
other person is gonno move, and that makes me a bad dancer. In order to become a
good dancer, I really must let go of that control. Its almost like a meditation. (…)Trust,
letting go, shut up, concentrate. For someone like me who is extraordinarily
aggressive and vicious, charming, talkative it’s the opposite. 6:00 I never forget this
guy just stops and says: “It’s me! … Pretend you like me! and don’t look at other
people, close your eyes and just be involved with me for 2 minutes!”…
Erzähler:
Der Tango, sagt Juliet, hat sie sehr verändert. Beim Tanzen genau wie im Leben
wolle sie immer alles kontrollieren, deswegen, sagt Juliet grinsend, sei sie erstmal
eine schlechte Tänzerin. Sie müsse lernen, die Zügel loszulassen. Eher wie eine
Meditation - nur eben getanzt. Nach innen hören, vertrauen, sich konzentrieren - und
vor allem: mal die Klappe halten. Für jemand, sagt sie lachend, der so
außerordentlich aggressiv, quatschfreudig, abwechselnd charmant und bösartig ist
wie sie, sei das ziemlich schwierig. Sie wird nie vergessen, sagt sie, wie einer ihrer
Tanzpartner mitten im Tanz anhielt und ihr zuzischte: „Hier bin ich! Spricht nicht mit
den andren Leuten, während wir tanzen! Tu zumindest so, als würdest du mich
mögen! Schließ die Augen und konzentrier dich, nur zwei Minuten lang!“
Juliet:
28:00 Chest is stuck together, and you lead me with your breast. (…) I mean a
vertical position to express a horizontal desire. Very very sensual. You close your
eyes. You trust a guy to lead you. Sometimes the guy too closes his eyes, the two of
you. It’s incredible. Like automatic people, you finish you are like: now that was better
than having sex and an orgasm. It was totally out of body experience.
Erzähler:
Der vertikale Ausdruck eines horizontalen Begehrens, sagt sie, heißt es nicht so?
Wenn es funktioniert, ist es ist sehr, sehr sinnlich. Stirn an Stirn, Brust an Brust. Du
schließt deine Augen. Du vertraust dich diesem Mann da an. Manchmal schließt
auch der Mann die Augen. Es ist unglaublich, eine Einheit. Am Ende denkst du - das
war besser als Sex und ein Orgasmus. Eine absolute Erfahrung von Entrücktheit,
den eigenen Körper verlassen.
Atmo Milonga
Erzähler:
Juliet verabschiedet sich. Sie will tanzen, mit einem bestimmten Mann.
Nach langem Warten wage ich es endlich und fordere eine Frau am Nebentisch zum
Tanzen auf - fürs erste mit Worten, nicht mit dem Blick. Ich stelle mich als Neuling
vor. Wir stehen voreinander. Ich lege den Arm um sie und spüre die Spannung
zwischen meinen beiden Händen, der rechten auf ihrem Rücken, und der linken, mit
der ich ihre Hand halte: die Spannung, mit der im Tango geführt wird. Einatmen - und
mit dem Ausatmen los, den ersten gemeinsamen Schritt tun; so haben es mir José
und Isabel im Unterricht erklärt. Meine Tanzpartnerin schließt die Augen.
Um uns kreist der Strom der Tanzenden, im Uhrzeigersinn, in den sollen wir jetzt
hinein. Ein älterer Mann im Anzug dreht neben uns eine junge Frau ein, hält sie leicht
gebeugt, in der Geste des Tango schlechthin, dann lassen sie sich weitertragen. Ich
tanze zum ersten Mal in einer Milonga.
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Es könnte so ein zauberhafter Moment sein - wenn da nicht die Schweißtropfen auf
meiner Stirn wären, wenn meine Schultern sich nicht so verhärten würden. Und
meine Tanzpartnerin nicht immer, sobald ich auch nur einen Moment lang zögere,
Tanzschritte aus eigener Initiative machen würde.
Atmo Gespräch mit Tanzpartnerin nach dem Tanz
“No me estas marcando bien!” “Que hago?” “No me estas haciendo girar en la
manera que debería girar, cuando bailas con alguien que tiene experiencia, aunque
tu no lo tengas, él lo hace de manera que naturalmente te sale el paso. Y tu no me
estas marcando de esta manera. (…) Yo tengo que saber que hacer. Y yo no lo se.
Entonces nos quedamos colgados en el aire. Y nunca en la pista se puede (parar)!
Tu estas arreglando… no sé que, en plena pista, en una milonga, no puedes hacer
eso. Si no sabes que hacer, nada, en el piso, tratando de focalizarnos de vuelta.“
Erzähler:
Wenn der Mann nicht weiß, was er will, funktioniert Tango nicht, teilt mir meine
Tanzpartnerin mit. So traditionell oft alles beim Tango zugeht, mir nach dem Tanz
gehörig den Marsch zu blasen, damit hat sie kein Problem. Sie habe gerne mit mir
getanzt, aber sobald ich an mir selbst zweifelte, war meine Körperspannung weg und
dadurch auch die Kommunikation zwischen unseren Körpern. Und niemals dürfe
man in der Mitte der Tanzfläche stehen bleiben, wie ich es einmal getan habe. Früher
hätte ich dafür in einer Milonga durchaus mit einer Handgreiflichkeit, einem gut
plazierten Ellbogen rechnen müssen. Wenn ich nicht weiterwisse, einfach
gemeinsam im Tangoschritt gehen, geradeaus, ohne Figuren, das reiche völlig.
Ich bin bestürzt. Ich dachte, ich wäre weiter. Natürlich habe ich gemerkt, dass unser
Tango nicht immer gut war. Gerade diese Angst hat mich ungeschickt gemacht. Zu
oft dachte ich darüber nach, wie ich tanzen soll - statt einfach zu tanzen.
Am schlimmsten ist es, wenn ich rauskomme - dann werde ich völlig verkopft. Als ich
mitten auf der Tanzfläche stehengeblieben bin, weil eine Bewegungsfolge nicht
klappte, habe ich gleich einen Witz gerissen. Mit Worten kann ich umgehen. Das ist
eine Ebene auf der ich mich zuhause fühle. Ich mache mich über meine
Ungeschicktheit oder die neueste Schweißperle auf meiner Stirn lustig - und meine
Ironie gibt mir das Gefühl, die Situation zu kontrollieren. Ein bisschen mache ich es
wie Juliet, denke ich, wenn sie sich mit ihrer Geschwätzigkeit Distanz verschafft.
Dass das nicht geht, kann ich von ihr lernen. Denn wie meine Tanzpartnerin noch
sagt, bevor sie an ihren Tisch zurückkehrt: Der Tango ist spielerisch, aber nicht
ironisch. Er scheitert, sobald die Verbindung der Körper sich auch nur einen
Augenblick verliert.
Atmo Demonstrationspauken
Erzähler:
Ich gehe über einen Platz in der Nähe der Avenida de Mayo, der großen
Verkehrsachse im Zentrum der Stadt. Demonstranten sammeln sich gerade auf einer
Ecke des Platzes. Demonstriert wird in Buenos Aires immer gerne und
leidenschaftlich, nicht erst seit der letzten Wirtschaftskrise. Nach der Krise, 2003,
2004, war Buenos Aires noch die billigste Stadt der Welt, jetzt ist es fast schon die
teuerste, spotten manche. Neben all der Schönheit und Energie der Stadt, spüre ich
auch ein allgemeines Gefühl von Desillusionierung, eine Ahnung, dass Träume leicht
scheitern. Diese Ahnung knüpft an ein Grundgefühl an, aus dem auch der Tango
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einst entstanden ist - die Nostalgie, das Heimweh der spanischen und italienischen
Immigranten, die Ende des 19. Jahrhunderts in Buenos Aires einen Neuanfang
wagten.
Eben habe ich noch mit Cecilia zu Mittag gegessen. Ich musste ein wenig über mich
selbst lachen, als ich ihr, was ich sonst nicht mache, in dem Restaurant die Tür
aufhielt und sie an ihren Platz geleitete - der Tango scheint auf mein Leben
überzugreifen.
Atmo Straße
Erzähler:
Jetzt treffe mich einem jungen professionellen Tango-Tänzer, „El Chino“ nennt er
sich. Er ist Mitte zwanzig, sieht tangomäßig romantisch aus, wenn er seine langen
Haare offen trägt, und ein bisschen wie ein Karatekämpfer, wenn er sie oben am
Hinterkopf zusammenbindet wie jetzt. „El Chino“ gibt Tangounterricht und organisiert
daneben Tangoabende in Milongas. Mich interessiert, was für „El Chino“ das
Schönste am Tango ist, seine Essenz.
El Chino:
13, 2 El tango no va por hacer pasos ni movimientos. El tango va por estar ahí, por
conectarte, por tomar tiempo, por respirar. Despues puedes hacer algo de muy
complicado, pero primero necesitas bajar y sentir. El abrazo, el comienzo es el más
lindo.
Erzähler:
Tango tanzen, sagt „El Chino“, hat nichts mit tollen Figuren oder Schritten zu tun.
Tango tanzen heißt: da sein, dich, den anderen spüren. Sich Zeitnehmen, Luft holen.
Zuallererst kommt die Umarmung, der „Abrazo“. Dieser Moment, der Anfang, sagt er,
ist für ihn das schönste am Tango.
El Chino:
21:45 Simplemente respetar la música, y te lleve la música. (…) En poder realmente
hacer un baile de improvisación. En cualquier momento puedo ir a cualquier lado.
Erzähler:
In der Umarmung nimmst du die Musik wahr und lässt zu, dass sie dich führt. Nur
dann kann man wirklich frei und improvisiert tanzen.
Atmo Musik
Erzähler:
All die Drehungen und Verzierungen, die Ganchos, Voleos und Ochos - ich habe
mich beim Tangolernen oft darauf konzentriert, Schritte und Figuren zu üben. Doch
„El Chino“ sagt mir, ein Tango könne für ihn auch dann wunderschön sein, wenn man
einfach nur gemeinsam geht - Hauptsache, die Umarmung ist da. Im Augenblick der
Umarmung, im Sich-Umarmen, noch vor dem ersten Schritt, wurzelt die Verbindung,
die ich auf den Gesichtern der Tänzer in der „Catedral“ an meinem ersten Abend in
Buenos Aires gesehen habe.
Es ist wie ein wichtiges Treffen mit einem anderen Menschen - wenn man sich nicht
von Anfang an auf die Begegnung einlässt, all den Ballast abwirft, den man mitbringt,
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den Stress auf der Arbeit, den Ärger zuhause - dann kann das das ganze Treffen
versauen.
Der Anfang, das erste „ich bin bei dir“ muss stimmen. Cecilia, Juliet, „El Chino“ - sie
alle tun es Abend für Abend, zehnmal, fünfzehnmal: an einen fremden Menschen
herantreten, Brust an Brust, Stirn an Stirn, seine Körperspannung fühlen, seinen
Atem, seinen Herzschlag, seinen Geruch. „Conectarse“, nennen sie diesen Moment,
„sich verbinden“. Nur so können für drei Minuten zwei eins sein.
Atmo Musik
El Chino:
Empeze a abrirme mucho interiormente. Cambio muchísimo mi personalidad a
través el tango. Yo era muchísimo mas tímido. Muchos problemas para expresarme,
no con las palabras, pero siempre supe lo que la otra persona quería escuchar. (…)
Y el tango me ponía en un contacto con la mujer que no tenia, sin hacer una
cuestión sexual, puede ser algo lúdico compartir un abrazo.
Erzähler:
Früher, sagt „El Chino, dachte er immer zwanghaft daran, was die anderen von ihm
hielten, ob im Studium oder bei der Arbeit. Ständig begleitete ihn die Angst abgelehnt
zu werden. Der Tango öffnete ihn innerlich, auch im Leben, brachte ihn mit sich
selbst in Verbindung. Mit seiner inneren Stärke. Und natürlich, sagt er lachend, auch
mit tollen Frauen - aber spielerisch.
Ich frage nach der Rolle der Frau im Tango, ob sie sich in den letzten Jahren sehr
verändert hat. Die Frau, antwortet der „Chino“, sei heute viel aktiver. Früher führte sie
aus, was der Mann ihr vorgab, mehr war nicht erlaubt. Heute schlägt der Mann eine
Bewegung vor, die Frau antwortet darauf, auch mit eigenen Ideen. Der Mann
wiederum muss die Ideen der Frau beachten und aufnehmen.
El Chino:
9:10 Bailaste de mujer una vez? Bueno yo lo disfruto muchísimo. Que es mucho más
difícil el rol de la mujer que el rol del hombre. En un caso particular me llevo una
mujer, Pepa, una socia de los lunes. Ella estaba queriendo a sacar a bailar alguien,
para practicar como leader y me pregunto…
Erzähler:
Hast Du schon mal in der Rolle der Frau getanzt, fragt „El Chino“ mich. Er selbst,
sagt er, genieße das sehr. Die Rolle der Frau ist viel herausfordernder als die des
Mannes. Gestern hat ihn eine Freundin aufgefordert, sie wollte lernen, wie man als
Mann tanzt, wie man führt.
Vielleicht habe ich mich geirrt, denke ich, als ich im Tango nach einer anderen Form,
mich als Mann zu fühlen, gesucht habe. Vielleicht geht es nur darum: ein
gemeinsames Spiel zu wagen, in dem zwei Körper sich trauen, Fragen zu stellen und
Antworten zu geben - ohne Worte, ohne Zwang.
El Chino:
Es común que yo bailo como mujer, que intercambio de los roles. Me parece
divertido, disfruto mucho dejar me llevar y por otro lado aprendo mucho. Aprendo
errores en las marcas. O la necesidad que realmente haga algo claro. (…) 11:00 Yo
no me siento ni mas masculino ni mas femenino, por cambiar de rol.(…) Yo bailo con
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amigos heterosexuales y amigos gay, y lo paso muy bien. 4:00 (…) La primera vez
que baile con un hombre fue raro, porque era la primera vez. Pero también lo hice
con amigos y no había ningún interés sexual, así que estaba relajado.
Erzähler:
Er macht das oft, sagt der Chino, die Rollen wechseln, viele machen das jetzt.
Erstens ist es lustig, und zweitens, sagt er, lernt er sehr viel dabei. Darüber wie man
gut oder schlecht führt. Wie wichtig es ist, ganz klar zu sein. Wo und wie Frauen die
Signale spüren. Mit seinem Gefühl von Männlichkeit oder Weiblichkeit, hat das nichts
zu tun. Er tanze auch mit Männern, ob schwul oder nicht schwul. Das erste Mal,
erinnert er sich, hatte er ein komisches Gefühl dabei. Aber es ist immer sehr schön.
Und hat mit Sexualität nichts zu tun.
Atmo Milonga
Erzähler:
Das große traurig-schöne Pappherz, zerfleddert, zugleich elegant, als wäre es das
nostalgische Herz des Tango selbst - auch heute hängt es von der Decke der
„Catedral“, genau wie vor sechs Monaten. Ich sehe mich in dem hohen Saal um Daniel Ranzulia, einer der Gründer der „Catedral“, hat mir erzählt, wie er mit drei
Freunden vor über zehn Jahren, mitten in der argentinischen Wirtschaftskrise, zum
ersten Mal hierher in die „Catedral“ zum Tango einlud - anfangs hatte jeder der
Gründer ein Bett in einer anderen Ecke des Saals, aus Geldnot schliefen die vier
Freunde damals auch hier, als Lichtquelle benutzten sie Kerzen.
Vor mir drehen sich die Gesichter der Tanzenden. Ich fühle mich ein wenig
wehmütig, weil ich Buenos Aires bald verlassen werde. Es ist einer meiner letzten
Abende. Was habe ich gelernt, frage ich mich?
Ich schaue mich um, mit wem will ich tanzen? Mit einem Mann, denke ich, wie der
„Chino“ es so leichtherzig tut, das traue ich mich noch nicht. Noch ist der Tango auch
ohne Rollentausch eine Herausforderung.
Doch dann passiert der Rollentausch ganz von allein - ich werde angesprochen, von
einem jungen Mann in T-Shirt und Turnschuhen mit Tangoabsätzen, der sich neben
mich stellt und mich fragt, ob wir tanzen wollen.
Also tanzen wir.
Ich frage, ob ich führen darf, schließlich habe ich das gelernt. Er nickt. Wir atmen ein
und aus. Und dann tanzen wir.
Atmo Musik
Erzähler:
Irgendwann, zwischendurch, schließe ich auch die Augen. Zumindest für einen
kurzen schönen Moment. Was ist passiert? Vielleicht nur dies: dass ich aufgehört
habe, mir vor und während des Tanzens Fragen zu stellen; egal ob ich nun mit einer
Frau oder einem Mann tanze.
Atmo Milonga
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