2 SWR2 Tandem - Manuskriptdienst Stirn an Stirn Was ich in Buenos Aires beim Tango tanzen lernte Autor: Patrick Batarilo Redaktion: Petra Mallwitz Regie: Nicole Paulsen Sendung: 10.10.2014 um 10.05 Uhr in SWR2 Wiederholung vom 20.07.12 um 10.05 Uhr __________________________________________________________________ Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte der Sendungen SWR2 Tandem auf CD können wir Ihnen zum größten Teil anbieten. In jedem Fall von den Vormittagssendungen. Bitte wenden Sie sich an den SWR Mitschnittdienst. Die CDs kosten derzeit 12,50 Euro pro Stück. Bestellmöglichkeiten: 07221/929-26030. 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Der hohe Saal ist ein ehemaliger Speicher, mitten in der Stadt, die Wände sind bis zur Decke mit Gemälden behängt. Über der Bar, in vielleicht acht Metern Höhe hängt, besser: schwebt ein riesiges von innen strahlendes zerfleddertes Herz. Davor drehen sich die Paare, in ihren Tanz versunken, Stirn an Stirn, viele haben die Augen geschlossen. Ich hatte zwar in Deutschland Tangostunden genommen, fand den Tanz aber zu ernst. Beim Tanzen wollte ich Spaß haben. Tango war nichts für mich. Das ändert sich an diesem Abend in Buenos Aires. Cecilia wird von dem Mann am Nebentisch zum Tanzen aufgefordert. Auf der Tanzfläche wirken die beiden auf mich so tief verbunden, wie es mir selten in meinem eigenen Leben geglückt ist. Wie ist das möglich - in den drei Minuten eines Tangos? Und ich sehe eine Klarheit und Stärke in dem, was es heißen kann, sich als Frau und Mann zu begegnen, die ich in meinem Leben vermisse. Dieses Gefühl, so scheint es mir, hat damit zu tun, wie ich als westlicher Mann gelernt habe, mit Frauen umzugehen: respektvoll, aber auch distanziert, sachlich, vorsichtig. Ist über den geänderten Geschlechterrollen etwas verloren gegangen, was ich im Tango womöglich in neuer Form wiederfinden kann? Ich nehme mir vor, das halbe Jahr, das ich in Buenos Aires verbringen werde, zum Tangolernen zu nutzen. Und ich beschließe, mit anderen Menschen darüber zu sprechen, wie es ihnen mit dem Tango ergeht. Eines hat mir Cecilia noch am ersten Abend prophezeit: Tango tanzen verändert dein Leben. Cecilia: 8, 1 Cuando volvi de Europa… La gente en Europa decía, Argentina era Maradona, Evita y Tango. Maradona lo conocía, Evita también, pero Tango no había bailado nunco. Entonces cuando llegue a Buenos Aires, la primera cosa que hize, fue bailar tango, tomar una clase de tango. (…) aca mi papa estaba bastante enfermo. (…)Y yo vine con sandalias muy solitos (¿), pero bien… la primera clase. En un lugar que es muy conocida, que se llama la Viruta. (…) 3:50 Es joven, no es aburrido. Uno que piensa en el tango, pienso en algo aburrido, una milonga llena de viejos, y la viruta es otra cosa. Erzähler: Während der argentinischen Wirtschaftskrise, erzählt mir Cecilia, war sie nach Europa gezogen. Wenn sie sich dort als Argentinierin vorstellte, fragten die Leute sie nach Maradona, Evita - und Tango. Maradona und Evita kannte sie, sagt Cecilia mit einem Lächeln, aber Tango? In den achtziger Jahren war der Tango in Argentinien so gut wie ausgestorben, sie selbst hatte den Tanz nie gelernt. Tango, fand sie damals, war etwas für alte Leute. Dann kehrte sie nach Argentinien zurück, weil ihr Vater schwer erkrankt war. Und sie beschloss, es doch einmal mit dem Tango zu versuchen. Zu ihrer ersten Klasse ging sie in Sandalen. Statt auf einen Saal voller Großväter und Großmütter stieß sie auf eine Milonga voller junger Leute. 2 Musik Erzähler: In ihrem Haus im Stadtteil Palermo spielt mir Cecilia Musik einer der Bands vor, die dem Tango seit Ende der neunziger Jahre zu einer Renaissance verholfen haben. Die Band heißt „Narcotango“, das neue Genre Elektrotango. Ein Grund für die Renaissance des Tango, finde ich heraus, war die argentinische Wirtschaftskrise 2001. In den Jahrzehnten davor hatte sich die argentinische Gesellschaft politisch und kulturell am Westen orientiert, vor allem an den USA. Als diese Ideale, die Ideale des Westens, 2001 scheiterten, suchten viele Menschen nach ihren Wurzeln. Das hieß in Argentinien - Tango. Atmo Straße Buenos Aires Erzähler: Wir machen uns auf den Weg zu einer Tanzschule. Cecilia will mir den Tango näher bringen. Um die Ecke auf der Plaza Serrano, wird jetzt im Frühsommer abends unter freiem Himmel Tango getanzt, erzählt sie. Doch bevor ich hier oder in den Milongas tanze, soll ich erst einmal die Grundschritte lernen. Cecilia: 2:00 Me costo mucho ir a una milonga. (…) Es dificil estar sentada en una silla para una mujer y esperar que el hombre venga. Uno tiene que esperar ahí que el hombre la mire, y si la mira ahí puedes bailar y es todo una tensión, y a vezes uno no esta dispuesto a tener esta tensión. (…) Si estas sentado en un rincón no te van a sacar nunco. Hay que estar bastante visible. Erzähler: Anfangs, erzählt Cecilia, hatte sie Schwierigkeiten in den Milongas. Zum Beispiel gibt es die Regel, dass die Frau an ihrem Platz warten muss, bis ein Mann sie auffordert, mit Worten oder über einen Blick. Du musst warten und bist angespannt. Und wenn du in irgendeiner Ecke versteckt sitzt, kommt nie jemand. Cecilia: Hoy no me siento tan bien con esta independencia. Me gusta tenerla, pero me gustaría tener lo otro. Saber que hay límites. Que alguien me pone límites. Eso me parece muy importante porque vivimos en una sociedad, no estoy en una isla, ahí no imparta. (…) Yo no siempre tengo razón, y no siempre lo que digo esta bien. Yo me crie en este ambiente, pero el tango me ayuda a entender que no, que hay otro que tengo que respetar que dice el otro, que quiere bailar, que no me va a hacer cualquier cosa, me va a hacer bailar, tengo que confiar que va a ser bien, Y si me equivoco no pasa nada, que el otro entiende que puedo equivocarme de la misma manera que yo entiendo que el otro puede equivocarse. (…) Necesito que las cosas se den mas relajamente, necesito confiar, va a estar bien. Es un baile! (Lacht) Erzähler: Sie ist eine sehr unabhängige Frau, sagt Cecila, so ist sie aufgewachsen; doch heute als Single mit Ende Dreißig fühlt sie sich in dieser Unabhängigkeit manchmal nicht mehr wohl. Sie hat schon früh in der Firma ihres Vaters eine Führungsposition übernommen, dort hatte sie immer das letzte Wort. Aber sie weiß auch, dass nicht 3 alles was sie sagt und tut, richtig ist. Der Tango hilft ihr, das zu begreifen. Dass es da einen anderen gibt, den sie respektieren muss. Sie empfindet es als entlastend, sagt sie, sich der Führung eines anderen anzuvertrauen. Nicht immer über alles nachdenken. Es ist ein Tanz, verdammt nochmal! Das ganze Leben ist ein Tanz! Cecilia: 9, 15 Entonces el tango para mi es como un termómetro de lo que me pasa en mi vida 10, 3:34 y me ayuda a hacer una terapia pero mas explicita. Y me terapeuta me pregunta como va en el tango (lacht). Erzähler: Wenn sie Probleme im Leben hat, sagt Cecilia, merkt sie das beim Tanzen sofort, sie ist steifer und genießt den Tanz nicht. Für sie, sagt sie lächelnd, ist der Tango auch ein Thermometer dafür, wie es ihr in ihrem Leben geht. Sie macht eine Therapie und ihre Therapeutin fragt als erstes immer: Wie hast du dich beim letzten Mal TangoTanzen gefühlt Atmo Tanzkurs Tango Erzähler: Ich bin in dem kleinen Tanzstudio in der Calle de Florida, in das mich Cecilia geschickt hat, im Zentrum von Buenos Aires. Ich bin der einzige Ausländer. Atmo Tanzlehrerin: Estaba bien, pero lo importante con una sacada es… sacar la pierna y trasladar el peso y ocupar el peso que esta esta ocupando. Erzähler: Es ist meine fünfte Stunde. Die Figur ist ziemlich kompliziert, finde ich. José Ramirez und Isabel Scheifler sind meine Tanzlehrer. José ist erst mal nett und lobt mich, dann kommt er zum Punkt: Ich zögere zu oft, das verwirrt meine Tanzpartnerin. Um ihr zu zeigen, was ich will, um sie zu führen, muss ich mit meinem Körper arbeiten. Mein Fuß soll in einer schnellen Bewegung, die ich nur mit einer Verlagerung meines Gewichts anzeigen darf, genau dahin, wo jetzt noch der Fuß meiner Tanzpartnerin ist. Wovor hast du Angst, fragt José? Tatsächlich, warum habe ich so eine Angst, den Fuß in ihren Raum zu setzen? Ich warte darauf, dass sie den Raum freimacht, mich einlädt. Genau das habe ich ja mühsam gelernt, in jahrelanger Beziehungsarbeit mit verschiedenen Partnerinnen: Es kommt nicht an bei den Frauen, wenn man sich den Raum einfach nimmt. In den ersten Beziehungen warfen mir meine Freundinnen vor, zu selbstverständlich davon auszugehen, dass das, was ich will, auch das ist, was sie wollen. Die Filme, die ich für uns auswählte. Die Orte, an die wir gemeinsam gehen sollten, Museen, Kneipen, Urlaube. „Hör auf, immer an dich zu denken, sonst klappt das nicht mit uns.“ Also wurde ich passiver, abwartender, versuchte zu erspüren, was sie wollen könnten. Und jetzt steht mir genau das im Weg. José: Al hombre, es un baile machista, en el principio, ahora al hombre le cuesta muchísimo poder marcar a la mujer y poder guiarla en lo que es el baile. Tomar esta responsabilidad que él tiene que guiar a la mujer para bailar. 4 Erzähler: Tango ist ursprünglich ein Macho-Tanz, sagt José. Doch heute, hat er den Eindruck, fällt es seinen männlichen Schülern schwer zu führen. Die Verantwortung für den Tanz zu übernehmen. Isabel: 46:35 Muchos varones son más tímidos que las mujeres. Les cuesta tal vez por el carácter de la mujer, les cuesta el hecho de aprender a llevar, y de asumir que hay otro que depende de él. (…) Les da mas de inseguridad, porque tienen que trasmitir seguridad. Esta tranquilidad. Todas estas cosas que para una mujer se sienten, en un abrazo tan cerrado, que sos tímido, la falta de seguridad, si están introvertidos, extravertidos. Erzähler: Die Männer in ihrem Kurs wirken oft schüchterner auf sie als die Frauen, sagt Isabel. Die Männer, ist ihr Eindruck, haben heute Schwierigkeiten mit dem Führen, weil es bedeutet, dass ihre Partnerin von ihnen abhängt. Sie müssen Sicherheit ausstrahlen, genau das macht sie unsicher. Im Tango hält man sich äußerst eng. Die Frau, erklärt sie, spürt jedes Zögern. Tatsächlich, das Führen fällt mir verteufelt schwer. Ich werde das Gefühl nicht los, meine Tanzpartnerin zu etwas zu „zwingen“. Nach rechts oder nach links drehen sollten wir das nicht erst gemeinsam besprechen?! Vielleicht tanze ich schlecht, denke ich einen Moment lang hoffnungsvoll, weil ich mich selbst zu einem „sensiblen“ Mann erzogen habe - einer der nicht dominieren will. Doch die Wahrheit ist: Ich habe gleichzeitig Angst, zu dominant und zu wenig dominant zu sein, zu männlich und zu unmännlich. Ich will führen, bestimmen und respektieren. Dabei habe ich doch von Cecilia gelernt, dass sie das Geführtwerden gar nicht als Zwang wahrnimmt, dass sie gerade im Tango eine andere Seite an sich entdecken will, eine Seite, die sie im Geschäftsleben nicht auslebt, die mit Hingabe und Vertrauen zu tun hat. Dass es sie entlastet, in diesem nicht so wichtigen Bereich einfach zu folgen. Vielleicht ist meine Art Respekt auch einfach Flucht, denke ich plötzlich - Flucht in die Distanz, in die Unverbindlichkeit. Doch Flucht ist im Tango unmöglich: Der „Tango Argentino“ ist reine Improvisation. Ohne festgelegte Schrittfolgen, hinter der ich oder meine Tanzpartnerin ihre Unsicherheit verstecken können. Isabel: Son chicas tan modernas y tan independientes, tan autosuficientes en todo que a vos te da la sensación que 45:45 parece que están bailando juntos, pero en realidad ella esta haciendo lo que sabe. (…) En el momento que les propongas de romper estas estructuras y que se dejen llevar por el varón ya no lo pueden hacer. Tenemos que ayudarlas a que sepan que el baile se hace a dos. (…) Con el tango… Al permitir el confiar en el otro, él le ayude a calmar la energía, permitir el intercambio de energía, contaminarse de la energía del otro. Erzähler: Die Frauen in ihrem Kurs, sagt Isabel, sind so modern, so unabhängig, so selbständig, dass sie sich oft nicht führen lassen können. Aber man muss dem anderen vertrauen. Je souveräner der Mann tanzt, desto einfacher ist für die Frauen, ihm zu folgen und zu vertrauen. 5 Erzähler: An meinem ersten Abend in einer Milonga in Buenos Aires, in der „Catedral“, habe ich auch eine Kanadierin kennengelernt - Juliet Wang. Sie stammt aus einer taiwanesischen Familie und ist vor zwei Jahren für den Tango nach Buenos Aires gezogen. Ihr Alter will sie mir nicht verraten, es reiche zu sagen, dass sie vier erwachsene Kinder und einen Ex-Mann habe. Juliet hat eine beeindruckend scharfe Zunge, sie ist spöttisch, denkt schnell, provoziert gern Atmo Milonga Erzähler: Juliets Stamm-Milonga ist ein traditionelles Lokal in einer Seitengasse in der Altstadt, dorthin lädt sie mich ein. Der Türsteher drückt mir beim Reingehen ein Tombolaticket in die Hand. Drinnen ist das Publikum älter, doch es sind auch ein paar junge Paare auf der Tanzfläche. Die Frauen tauschen als erstes ihre Straßenschuhe gegen elegante Glattledersohlen-High-Heels ein, die meisten Männer sind echte Milongueros im Anzug, mit weißem Hemd. Szenige Turnschuhe mit Tangoabsätzen wie in der „Catedral“ trägt hier niemand. Frauen und Männer sitzen an getrennten Tischen. Juliet selbst scheint sich von der konservativen Atmosphäre wenig beeindrucken zu lassen. Juliet: Life is futile. Life’s a bitch. For most people it’s a negative experience. Tango is about rejection. When you go to those milongas in the beginning, nobody dances with you. And you have to, thank god Im aggressive and charming, I don’t have to take no for an answer. And I could laugh at my self, so Im more of a rarety than the normal polite people. There are women that have been dancing 20 years and come here and sit all niht. Because its not proper to ask. I say yes, but what do you have to lose? All they can say is no. 21:30 You crazy! I say: Ya! What I learned about myself? Life is too short, Im going dancing! Erzähler: Das Leben ist hart; Juliet zuckt mit den Achseln. Am Anfang tanzt in den Milongas keiner mit dir. Sie verdreht die Augen. Manche Frauen, sagt sie, tanzen seit 20 Jahren, kommen hierher und sitzen die ganze Nacht nur rum. Weil es gegen die Regeln verstößt, wenn die Frau den Mann auffordert. Aber, fragt sie, was hat sie schon zu verlieren?! Das Leben ist zu kurz, sie will tanzen. In den traditionellen Milongas fordert der Mann die Frau zum Tanzen auf, indem er ihren Blick fängt und ihr zunickt. Juliet mag dieses kleine Ritual sehr, sagt sie - und bricht es ständig, indem sie selbst den Männern auffordernde Blicke zuwirft, und damit auch noch Erfolg hat. Vielleicht wegen ihrer extravaganten Art - vielleicht aber auch wegen ihrer sichtbaren Leidenschaft für den Tango. Juliet war in Kanada Verlegerin. Den Verlag hat sie verkauft, um in Buenos Aires leben zu können - für den Tango. Juliet: It modified my personality and breaks a lot of my bad habits. Tango dance is a little bit different than other dancers. For example the ballroom dance or the latin dance has rules, (…) but in tango it’s improvised. Therefore the rules is not clear and cut, so you have to concentrate. 1:25 and you have to really follow, which is a little bit 6 different. (…) I m constanty wanting to control your move and anticipate what the other person is gonno move, and that makes me a bad dancer. In order to become a good dancer, I really must let go of that control. Its almost like a meditation. (…)Trust, letting go, shut up, concentrate. For someone like me who is extraordinarily aggressive and vicious, charming, talkative it’s the opposite. 6:00 I never forget this guy just stops and says: “It’s me! … Pretend you like me! and don’t look at other people, close your eyes and just be involved with me for 2 minutes!”… Erzähler: Der Tango, sagt Juliet, hat sie sehr verändert. Beim Tanzen genau wie im Leben wolle sie immer alles kontrollieren, deswegen, sagt Juliet grinsend, sei sie erstmal eine schlechte Tänzerin. Sie müsse lernen, die Zügel loszulassen. Eher wie eine Meditation - nur eben getanzt. Nach innen hören, vertrauen, sich konzentrieren - und vor allem: mal die Klappe halten. Für jemand, sagt sie lachend, der so außerordentlich aggressiv, quatschfreudig, abwechselnd charmant und bösartig ist wie sie, sei das ziemlich schwierig. Sie wird nie vergessen, sagt sie, wie einer ihrer Tanzpartner mitten im Tanz anhielt und ihr zuzischte: „Hier bin ich! Spricht nicht mit den andren Leuten, während wir tanzen! Tu zumindest so, als würdest du mich mögen! Schließ die Augen und konzentrier dich, nur zwei Minuten lang!“ Juliet: 28:00 Chest is stuck together, and you lead me with your breast. (…) I mean a vertical position to express a horizontal desire. Very very sensual. You close your eyes. You trust a guy to lead you. Sometimes the guy too closes his eyes, the two of you. It’s incredible. Like automatic people, you finish you are like: now that was better than having sex and an orgasm. It was totally out of body experience. Erzähler: Der vertikale Ausdruck eines horizontalen Begehrens, sagt sie, heißt es nicht so? Wenn es funktioniert, ist es ist sehr, sehr sinnlich. Stirn an Stirn, Brust an Brust. Du schließt deine Augen. Du vertraust dich diesem Mann da an. Manchmal schließt auch der Mann die Augen. Es ist unglaublich, eine Einheit. Am Ende denkst du - das war besser als Sex und ein Orgasmus. Eine absolute Erfahrung von Entrücktheit, den eigenen Körper verlassen. Atmo Milonga Erzähler: Juliet verabschiedet sich. Sie will tanzen, mit einem bestimmten Mann. Nach langem Warten wage ich es endlich und fordere eine Frau am Nebentisch zum Tanzen auf - fürs erste mit Worten, nicht mit dem Blick. Ich stelle mich als Neuling vor. Wir stehen voreinander. Ich lege den Arm um sie und spüre die Spannung zwischen meinen beiden Händen, der rechten auf ihrem Rücken, und der linken, mit der ich ihre Hand halte: die Spannung, mit der im Tango geführt wird. Einatmen - und mit dem Ausatmen los, den ersten gemeinsamen Schritt tun; so haben es mir José und Isabel im Unterricht erklärt. Meine Tanzpartnerin schließt die Augen. Um uns kreist der Strom der Tanzenden, im Uhrzeigersinn, in den sollen wir jetzt hinein. Ein älterer Mann im Anzug dreht neben uns eine junge Frau ein, hält sie leicht gebeugt, in der Geste des Tango schlechthin, dann lassen sie sich weitertragen. Ich tanze zum ersten Mal in einer Milonga. 7 Es könnte so ein zauberhafter Moment sein - wenn da nicht die Schweißtropfen auf meiner Stirn wären, wenn meine Schultern sich nicht so verhärten würden. Und meine Tanzpartnerin nicht immer, sobald ich auch nur einen Moment lang zögere, Tanzschritte aus eigener Initiative machen würde. Atmo Gespräch mit Tanzpartnerin nach dem Tanz “No me estas marcando bien!” “Que hago?” “No me estas haciendo girar en la manera que debería girar, cuando bailas con alguien que tiene experiencia, aunque tu no lo tengas, él lo hace de manera que naturalmente te sale el paso. Y tu no me estas marcando de esta manera. (…) Yo tengo que saber que hacer. Y yo no lo se. Entonces nos quedamos colgados en el aire. Y nunca en la pista se puede (parar)! Tu estas arreglando… no sé que, en plena pista, en una milonga, no puedes hacer eso. Si no sabes que hacer, nada, en el piso, tratando de focalizarnos de vuelta.“ Erzähler: Wenn der Mann nicht weiß, was er will, funktioniert Tango nicht, teilt mir meine Tanzpartnerin mit. So traditionell oft alles beim Tango zugeht, mir nach dem Tanz gehörig den Marsch zu blasen, damit hat sie kein Problem. Sie habe gerne mit mir getanzt, aber sobald ich an mir selbst zweifelte, war meine Körperspannung weg und dadurch auch die Kommunikation zwischen unseren Körpern. Und niemals dürfe man in der Mitte der Tanzfläche stehen bleiben, wie ich es einmal getan habe. Früher hätte ich dafür in einer Milonga durchaus mit einer Handgreiflichkeit, einem gut plazierten Ellbogen rechnen müssen. Wenn ich nicht weiterwisse, einfach gemeinsam im Tangoschritt gehen, geradeaus, ohne Figuren, das reiche völlig. Ich bin bestürzt. Ich dachte, ich wäre weiter. Natürlich habe ich gemerkt, dass unser Tango nicht immer gut war. Gerade diese Angst hat mich ungeschickt gemacht. Zu oft dachte ich darüber nach, wie ich tanzen soll - statt einfach zu tanzen. Am schlimmsten ist es, wenn ich rauskomme - dann werde ich völlig verkopft. Als ich mitten auf der Tanzfläche stehengeblieben bin, weil eine Bewegungsfolge nicht klappte, habe ich gleich einen Witz gerissen. Mit Worten kann ich umgehen. Das ist eine Ebene auf der ich mich zuhause fühle. Ich mache mich über meine Ungeschicktheit oder die neueste Schweißperle auf meiner Stirn lustig - und meine Ironie gibt mir das Gefühl, die Situation zu kontrollieren. Ein bisschen mache ich es wie Juliet, denke ich, wenn sie sich mit ihrer Geschwätzigkeit Distanz verschafft. Dass das nicht geht, kann ich von ihr lernen. Denn wie meine Tanzpartnerin noch sagt, bevor sie an ihren Tisch zurückkehrt: Der Tango ist spielerisch, aber nicht ironisch. Er scheitert, sobald die Verbindung der Körper sich auch nur einen Augenblick verliert. Atmo Demonstrationspauken Erzähler: Ich gehe über einen Platz in der Nähe der Avenida de Mayo, der großen Verkehrsachse im Zentrum der Stadt. Demonstranten sammeln sich gerade auf einer Ecke des Platzes. Demonstriert wird in Buenos Aires immer gerne und leidenschaftlich, nicht erst seit der letzten Wirtschaftskrise. Nach der Krise, 2003, 2004, war Buenos Aires noch die billigste Stadt der Welt, jetzt ist es fast schon die teuerste, spotten manche. Neben all der Schönheit und Energie der Stadt, spüre ich auch ein allgemeines Gefühl von Desillusionierung, eine Ahnung, dass Träume leicht scheitern. Diese Ahnung knüpft an ein Grundgefühl an, aus dem auch der Tango 8 einst entstanden ist - die Nostalgie, das Heimweh der spanischen und italienischen Immigranten, die Ende des 19. Jahrhunderts in Buenos Aires einen Neuanfang wagten. Eben habe ich noch mit Cecilia zu Mittag gegessen. Ich musste ein wenig über mich selbst lachen, als ich ihr, was ich sonst nicht mache, in dem Restaurant die Tür aufhielt und sie an ihren Platz geleitete - der Tango scheint auf mein Leben überzugreifen. Atmo Straße Erzähler: Jetzt treffe mich einem jungen professionellen Tango-Tänzer, „El Chino“ nennt er sich. Er ist Mitte zwanzig, sieht tangomäßig romantisch aus, wenn er seine langen Haare offen trägt, und ein bisschen wie ein Karatekämpfer, wenn er sie oben am Hinterkopf zusammenbindet wie jetzt. „El Chino“ gibt Tangounterricht und organisiert daneben Tangoabende in Milongas. Mich interessiert, was für „El Chino“ das Schönste am Tango ist, seine Essenz. El Chino: 13, 2 El tango no va por hacer pasos ni movimientos. El tango va por estar ahí, por conectarte, por tomar tiempo, por respirar. Despues puedes hacer algo de muy complicado, pero primero necesitas bajar y sentir. El abrazo, el comienzo es el más lindo. Erzähler: Tango tanzen, sagt „El Chino“, hat nichts mit tollen Figuren oder Schritten zu tun. Tango tanzen heißt: da sein, dich, den anderen spüren. Sich Zeitnehmen, Luft holen. Zuallererst kommt die Umarmung, der „Abrazo“. Dieser Moment, der Anfang, sagt er, ist für ihn das schönste am Tango. El Chino: 21:45 Simplemente respetar la música, y te lleve la música. (…) En poder realmente hacer un baile de improvisación. En cualquier momento puedo ir a cualquier lado. Erzähler: In der Umarmung nimmst du die Musik wahr und lässt zu, dass sie dich führt. Nur dann kann man wirklich frei und improvisiert tanzen. Atmo Musik Erzähler: All die Drehungen und Verzierungen, die Ganchos, Voleos und Ochos - ich habe mich beim Tangolernen oft darauf konzentriert, Schritte und Figuren zu üben. Doch „El Chino“ sagt mir, ein Tango könne für ihn auch dann wunderschön sein, wenn man einfach nur gemeinsam geht - Hauptsache, die Umarmung ist da. Im Augenblick der Umarmung, im Sich-Umarmen, noch vor dem ersten Schritt, wurzelt die Verbindung, die ich auf den Gesichtern der Tänzer in der „Catedral“ an meinem ersten Abend in Buenos Aires gesehen habe. Es ist wie ein wichtiges Treffen mit einem anderen Menschen - wenn man sich nicht von Anfang an auf die Begegnung einlässt, all den Ballast abwirft, den man mitbringt, 9 den Stress auf der Arbeit, den Ärger zuhause - dann kann das das ganze Treffen versauen. Der Anfang, das erste „ich bin bei dir“ muss stimmen. Cecilia, Juliet, „El Chino“ - sie alle tun es Abend für Abend, zehnmal, fünfzehnmal: an einen fremden Menschen herantreten, Brust an Brust, Stirn an Stirn, seine Körperspannung fühlen, seinen Atem, seinen Herzschlag, seinen Geruch. „Conectarse“, nennen sie diesen Moment, „sich verbinden“. Nur so können für drei Minuten zwei eins sein. Atmo Musik El Chino: Empeze a abrirme mucho interiormente. Cambio muchísimo mi personalidad a través el tango. Yo era muchísimo mas tímido. Muchos problemas para expresarme, no con las palabras, pero siempre supe lo que la otra persona quería escuchar. (…) Y el tango me ponía en un contacto con la mujer que no tenia, sin hacer una cuestión sexual, puede ser algo lúdico compartir un abrazo. Erzähler: Früher, sagt „El Chino, dachte er immer zwanghaft daran, was die anderen von ihm hielten, ob im Studium oder bei der Arbeit. Ständig begleitete ihn die Angst abgelehnt zu werden. Der Tango öffnete ihn innerlich, auch im Leben, brachte ihn mit sich selbst in Verbindung. Mit seiner inneren Stärke. Und natürlich, sagt er lachend, auch mit tollen Frauen - aber spielerisch. Ich frage nach der Rolle der Frau im Tango, ob sie sich in den letzten Jahren sehr verändert hat. Die Frau, antwortet der „Chino“, sei heute viel aktiver. Früher führte sie aus, was der Mann ihr vorgab, mehr war nicht erlaubt. Heute schlägt der Mann eine Bewegung vor, die Frau antwortet darauf, auch mit eigenen Ideen. Der Mann wiederum muss die Ideen der Frau beachten und aufnehmen. El Chino: 9:10 Bailaste de mujer una vez? Bueno yo lo disfruto muchísimo. Que es mucho más difícil el rol de la mujer que el rol del hombre. En un caso particular me llevo una mujer, Pepa, una socia de los lunes. Ella estaba queriendo a sacar a bailar alguien, para practicar como leader y me pregunto… Erzähler: Hast Du schon mal in der Rolle der Frau getanzt, fragt „El Chino“ mich. Er selbst, sagt er, genieße das sehr. Die Rolle der Frau ist viel herausfordernder als die des Mannes. Gestern hat ihn eine Freundin aufgefordert, sie wollte lernen, wie man als Mann tanzt, wie man führt. Vielleicht habe ich mich geirrt, denke ich, als ich im Tango nach einer anderen Form, mich als Mann zu fühlen, gesucht habe. Vielleicht geht es nur darum: ein gemeinsames Spiel zu wagen, in dem zwei Körper sich trauen, Fragen zu stellen und Antworten zu geben - ohne Worte, ohne Zwang. El Chino: Es común que yo bailo como mujer, que intercambio de los roles. Me parece divertido, disfruto mucho dejar me llevar y por otro lado aprendo mucho. Aprendo errores en las marcas. O la necesidad que realmente haga algo claro. (…) 11:00 Yo no me siento ni mas masculino ni mas femenino, por cambiar de rol.(…) Yo bailo con 10 amigos heterosexuales y amigos gay, y lo paso muy bien. 4:00 (…) La primera vez que baile con un hombre fue raro, porque era la primera vez. Pero también lo hice con amigos y no había ningún interés sexual, así que estaba relajado. Erzähler: Er macht das oft, sagt der Chino, die Rollen wechseln, viele machen das jetzt. Erstens ist es lustig, und zweitens, sagt er, lernt er sehr viel dabei. Darüber wie man gut oder schlecht führt. Wie wichtig es ist, ganz klar zu sein. Wo und wie Frauen die Signale spüren. Mit seinem Gefühl von Männlichkeit oder Weiblichkeit, hat das nichts zu tun. Er tanze auch mit Männern, ob schwul oder nicht schwul. Das erste Mal, erinnert er sich, hatte er ein komisches Gefühl dabei. Aber es ist immer sehr schön. Und hat mit Sexualität nichts zu tun. Atmo Milonga Erzähler: Das große traurig-schöne Pappherz, zerfleddert, zugleich elegant, als wäre es das nostalgische Herz des Tango selbst - auch heute hängt es von der Decke der „Catedral“, genau wie vor sechs Monaten. Ich sehe mich in dem hohen Saal um Daniel Ranzulia, einer der Gründer der „Catedral“, hat mir erzählt, wie er mit drei Freunden vor über zehn Jahren, mitten in der argentinischen Wirtschaftskrise, zum ersten Mal hierher in die „Catedral“ zum Tango einlud - anfangs hatte jeder der Gründer ein Bett in einer anderen Ecke des Saals, aus Geldnot schliefen die vier Freunde damals auch hier, als Lichtquelle benutzten sie Kerzen. Vor mir drehen sich die Gesichter der Tanzenden. Ich fühle mich ein wenig wehmütig, weil ich Buenos Aires bald verlassen werde. Es ist einer meiner letzten Abende. Was habe ich gelernt, frage ich mich? Ich schaue mich um, mit wem will ich tanzen? Mit einem Mann, denke ich, wie der „Chino“ es so leichtherzig tut, das traue ich mich noch nicht. Noch ist der Tango auch ohne Rollentausch eine Herausforderung. Doch dann passiert der Rollentausch ganz von allein - ich werde angesprochen, von einem jungen Mann in T-Shirt und Turnschuhen mit Tangoabsätzen, der sich neben mich stellt und mich fragt, ob wir tanzen wollen. Also tanzen wir. Ich frage, ob ich führen darf, schließlich habe ich das gelernt. Er nickt. Wir atmen ein und aus. Und dann tanzen wir. Atmo Musik Erzähler: Irgendwann, zwischendurch, schließe ich auch die Augen. Zumindest für einen kurzen schönen Moment. Was ist passiert? Vielleicht nur dies: dass ich aufgehört habe, mir vor und während des Tanzens Fragen zu stellen; egal ob ich nun mit einer Frau oder einem Mann tanze. Atmo Milonga 11
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